Mein Perspektivwechsel: Europas Lektion aus Chinas Seltene-Erden-Erfolg
- Erik Esly
- 29. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Executive Summary
Lernkurve im Zeitraffer: China hat europäische Impulse in Tempo, vertikale Integration und Skalierung übersetzt – und eine eigenständige Industrie- und Technologieposition aufgebaut
REE als Blaupause: Bei Seltenen Erden (Rare Earth Elements, REE) kontrolliert China ~69% Abbau, 85–90% Verarbeitung und >90% der NdFeB‑Magnetproduktion; Europa ist bei Verarbeitung/Recycling stark abhängig

Relevanz für Schlüsselbranchen: Elektromobilität, Windenergie, Robotik und Elektronik treiben die Nachfrage; ein EV benötigt ca. 1–2,5 kg NdFeB‑Magnete, eine Offshore‑Turbine mehrere hundert Kilogramm
Europäischer Rahmen: Der CRMA zielt bis 2030 auf 10% Förderung, 40% Verarbeitung, 25% Recycling und ≤65% Abhängigkeit von einem Drittland – ambitioniert, aber umsetzbar mit schnelleren Genehmigungen, Integration und Marktaufbau
Umsetzungsmodus: Europa braucht schnellere Entscheidungen und verlässliche Offtake-Verträge – langfristige Abnahmeverträge, die Produzenten Planungssicherheit geben. Zusammen mit Mining 4.0 und digitaler Exzellenz wird die Resilienz gestärkt
Von der IAA bis Chengdu – Lernen in Zyklen
Als ich vor 26 Jahren meinen beruflichen Weg bei der Mannesmann Sachs AG (heute ZF Friedrichshafen AG) begann, waren die Schritte zunächst klein – etwa das Benchmarking von Fahrzeugen auf der IAA, damals noch in Frankfurt, als Teil des Lernprozesses für neue Technologien.
Schon damals zeigten asiatische, insbesondere chinesische Automobilhersteller großes Interesse daran, die herausragenden europäischen Qualitätsstandards und Innovationsansätze aufmerksam zu beobachten und sukzessive in ihre eigene Entwicklung zu integrieren. Diese wechselseitige Inspiration bildete die Grundlage eines lebendigen Wettbewerbs, der die Automobilindustrie weltweit immer schneller vorantreibt.
Heute prägen konsequente vertikale Integration, rasche Skalierung und technologisch gestützte Prozessinnovationen die chinesische Industrie insgesamt.
Meine Eindrücke eines kürzlichen Aufenthalts in China, genauer aus Chengdu bestätigen dies: hohe industrielle Schlagzahl, klare Designsprache, hohe Fertigungsqualität und starke Software‑Innovation in lokalen Automarken. Zugleich gelten europäische Premium Brands in China immer noch als Luxus – Synonyme für Qualität und Design.
Beide Regionen haben also unterschiedliche Stärkenprofile: China punktet mit operativer Exzellenz, enger Koordination zwischen Staat und Industrie sowie Geschwindigkeit; Europa mit Präzision, Qualität und dem daraus in Jahrzehnten erarbeiteten Vertrauen.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich am Beispiel der Seltenen Erden besonders eindrücklich, wie eng gegensätzliche Stärken mit strategischen Abhängigkeiten verknüpft sind – und welche Herausforderungen das für Europa bedeutet.
Seltene Erden als Beispiel für strategische Abhängigkeiten
Globale Konzentration
Abbau: China ~69% der globalen Förderung
Verarbeitung/Separation: ~85–90% der Kapazitäten in China
NdFeB‑Magnetproduktion: >90% in China (Neodym‑Eisen‑Bor)
Nachfragetreiber und Einsatzmengen
Haupttreiber: Elektromobilität, Windenergie, Robotik/Automation, Elektronik
Einsatz: EV mit permanenterregtem Motor ca. 1–2,5 kg NdFeB‑Magnete; Offshore‑Windturbine mehrere hundert Kilogramm
Trend: Magnetanwendungen wachsen dynamisch; Engpässe liegen vor allem in Separation und Metallisierung, zentral für Elektromotoren, Sensoren und Medizintechnik

Europäische Lage
Die EU verarbeitet aktuell <1%, recycelt <1% und ist zu über 90% importabhängig. China dominiert mit ca. 70% Förderung und 90% Verarbeitung weltweite Seltene-Erden-Märkte. USA haben 6% Reserven, 15% Förderung, 21% Recycling; Australien 4% Reserven, 20% Förderung, <1% Recycling
Regulatorischer Rahmen: Der EU Critical Raw Materials Act (CRMA) setzt Ziele bis 2030 – 10% Förderung, 40% Verarbeitung, 25% Recycling, ≤65% Abhängigkeit von einem Drittland
Skalierte europäische Förderkapazitäten sind frühestens ab 2030 realistisch, etwa ab dann kann LKAB in Schweden langfristig produzieren. Verarbeitungskapazitäten wachsen mit Pilotanlagen in Frankreich und Polen bis 2027–2030. Recyclinganlagen wie Heraeus Remloy in Deutschland starten bereits, Ausbau auf nennenswerte Mengen wird bis 2030 erwartet. Genehmigungen, Infrastruktur und Umweltvorgaben verlängern die Entwicklungszeiten auf 10–15 Jahre. Bis dahin sind Recycling, Innovation und internationale Partnerschaften, vor allem mit China, essenziell
Wie Europa vom chinesischen Erfolgsmodell lernen kann
China kontrolliert die Seltenen-Erden-Förderung und Verarbeitung so dominant, weil es Geschwindigkeit, vertikale Integration und Marktkontrolle systematisch als strategische Prinzipien umsetzt. Europa kann daraus lernen, Genehmigungsverfahren verbindlich zu beschleunigen, indem es zum Beispiel verbindliche Fristen und „One-Stop“-Anlaufstellen einführt, um bürokratische Hürden abzubauen.
Zudem werden Projekte in China in Clustern gebündelt, die gesamte Wertschöpfungskette vom Rohstoffabbau über Verarbeitung und Metallurgie bis zur Magnetfertigung abdecken. Europa verfolgt mit dem Critical Raw Materials Act (CRMA) ähnliche Ziele, steht aber vor der Herausforderung, diese schneller praktisch umzusetzen.
Verbindliche, mehrjährige Offtake-Verträge mit OEMs schaffen in China Investitionssicherheit und Produktionsvolumen. Europa baut gerade solche Partnerschaften aus, um Kapazitäten effizienter zu skalieren und die Kosten zu reduzieren.
Digitalisierung und datengetriebene Prozesssteuerung („Mining 4.0“) treiben in China Effizienz und Nachhaltigkeit voran. Europa sollte Innovationen und Kooperationen in diesen Bereichen verstärkt fördern, um gegenüber der dominierenden Wettbewerbsposition aufzuholen.
Für Europa ist die unabhängige Sicherung kritischer Rohstoffe essenziell, um Zukunftstechnologien eigenständig entwickeln und betreiben zu können – nur so lässt sich langfristig technologische Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit sichern.
Resilienz durch Fokus, Tempo und digitale Attraktivität
Globale Zyklen verschieben sich – nicht nur bei REE, sondern entlang vieler industrieller und digitaler Wertschöpfungen. Europas Aufgabe ist es, Präzision, Qualität und Nachhaltigkeit mit Tempo, Skalierung und digitaler Exzellenz zu verbinden.
Das heißt: priorisieren, Kapazitäten früh und ausreichend sichern, regulatorische Reibung reduzieren – und Ökosysteme zwischen Industrie, Forschung und Kapital marktfit machen. So entsteht Resilienz, die über einzelne Rohstofffragen hinauswirkt – und Europas Rolle als führender Industrie‑ und Digitalstandort im nächsten Zyklus sichert.
Tempo ist in diesem Fall die beste Strategie.
FAQ
Was bedeutet REE? Rare Earth Elements (Seltene Erden) – 15 Lanthanoide plus Scandium und Yttrium; wichtig u. a. für Hochleistungsmagnete (NdFeB), Katalysatoren und Elektronik
Was sind NdFeB‑Magnete? Neodym‑Eisen‑Bor‑Magnete mit hoher Energiedichte; Schlüsselkomponenten in E‑Antrieben, Generatoren von Windturbinen, Robotik und Elektronik
Warum sind Offtake‑Verträge wichtig? Sie sichern Planbarkeit für Produzierende (Bankability) und Versorgungssicherheit für Abnehmende (OEMs, Tier‑1). Typisch: mehrjährige Laufzeiten, Preisformeln, Qualitätskriterien
Glossar
REE: Rare Earth Elements – Seltene Erden
EV: Electric Vehicle
NdFeB: Neodym‑Eisen‑Bor‑Magnete, sehr starke Permanentmagnete
CRMA: EU Critical Raw Materials Act – EU‑Rahmen für kritische Rohstoffe
LKAB: Luossavaara-Kiirunavaara Aktiebolag ist ein staatliches schwedisches Bergbauunternehmen
Offtake‑Vertrag: Langfristige Abnahmevereinbarung mit definierten Mengen/Preisen
PCF: Product Carbon Footprint – CO2e‑Fußabdruck eines Produkts
Quellenhinweise & Ressourcen zum Thema
EU‑Dokumente zum Critical Raw Materials Act (CRMA)
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